Small-Talk

Es ist Nachmittag, die Familie sitzt im Wohnzimmer, zumindest größere Teile davon. So weit so normal. Schon etwas ungewöhnlicher: Es läuft kein Fernseher. Nach welchen Kriterien haben Familien ihre Wohnzimmer eigentlich früher ausgerichtet, als es noch keinen Fernseher gab?

Tatsächlich unterhalten sich die Kinder diesmal miteinander. Die Älteren kennen das sicher noch. Für die Jüngeren: Unterhalten ist wie eine Reihe von WhatsApp-Sprachnachrichten, nur ohne blaue Haken.

Gerade wirft eine Tochter ein, dass Papa noch nicht einmal fünf Minuten Small-Talk schafft, ohne gleich wieder eine schlecht versteckte Gesellschaftskritik loszuwerden.

Ich entgegne eloquent, dass meine Gesellschaftskritik überhaupt nicht versteckt ist, was in der Familie etwas mehr Zustimmung erntet als mir lieb ist.

Umso mehr freut es mich, als Tochter kurz darauf tatsächlich aus meinem letzten Küchenironie-Text zitiert. Weniger schön: Tochter 2 reagiert auf die Erwähnung von Küchenironie, indem sie sich demonstrativ Kopfhörer in die Ohren steckt und die Musik aufdreht…

Ich versuche Tochter 2 zu erklären, dass es ja in Ordnung ist, wenn sie mein Hobby nicht interessiert, aber deshalb müsse sie ja nicht gleich so demonstrativ ihre Ablehnung zelebrieren. Der Erklärungsversuch braucht etwas Zeit, auch wegen der Kopfhörer und weil meine Pantomime-Künste schon etwas eingerostet sind.

Als ich endlich zu Tochter 2 durchdringe, stellt sie die Musik ab und erklärt: „Aber Papa, das ist es doch gar nicht. Ich wollte nur die Unterhaltung nicht unterbrechen. Aber ich bin nur noch nicht dazu gekommen, deinen letzten Text zu lesen, und ich wollte nicht, dass jetzt jemand spoilert.“

Da fiel mir doch tatsächlich keine Gesellschaftskritik mehr ein…

1 thought on “Small-Talk

  1. Vor 60 Jahren, als es noch nicht soviel Fernsehen gab, schaute man mehr aus dem Fenster. Gerne auch ganz bequem, mit einem Kissen unter den Unterarmen auf die Fensterbank gelehnt .Das erhöhte die Reichweite und man sah viele Leute und sprach mit ihnen. Das Gehörte und Gesehene wurde dann in der Kneipe vertieft und man sprach übereinander.
    Das war interessant und war viel billiger als die heutigen digitalen Angebote.
    Aber das lässt sich nicht wieder zurückdrehen; auch nicht mit aktiver Gesellschaftskritik.

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